15. August 2024
Der Kniebrech (Ardea patelliphraga)
Der Kniebrech gehört zu den Reihern. Das ist eigentlich logisch, denn ein Vogel der gerne bricht und auffällige Knie hat, der kann eigentlich nur ein Reiher sein.
Nun heißt der Kniebrech aber nicht so, weil er des dauerhaften Regurgitierens übers mittlere Beingelenk frönt, sondern weil er eine weitere reihertypische Eigenschaft aufweist, und das ist die Absolute Hektik.
Okay, jetzt können wir denken: hey hallo, der Vogel der Woche spinnt, jetzt ist die Meise endgültig locker und huscht unterm Pony.
Denn Reiher, das sind doch diese Deckenfluter-mit-Dimmer-ähnlichen Dinger, die bewegungslos auf Kühen reiten oder mit minimalster Lokomotion neu reingesetzte Kois vom OBI ausm Gartenteich picken, von Hektik keine Spur, haben eher was von Stehlampe mit Fischgeruch??
Jahaa, wir reden ja bisher auch von ungestörtem, nicht gescheuchten Reihergetier! Was meint Ihr aber, liebe Zuhörer_er_innen, was passiert, wenn ein solches Gestänge plötzlich – quasi stante pede – in heillose Aufregung versetzt wird?
Lange Federn, langer Schnabel, lange Beine mit auffälligen Knien, lange Hälse – und dies alles zeigt plötzlich an, dass die Umwelt gerade – nach Ansicht des Tiers – über Gebühr deutlich wahrgenommen wird?
Das kann ich euch sagen was dann passiert: der Vogel wird auf eine fast unbeschreibliche Weise hektisch. Und was hektisch wird, das macht Fehler. So auch der Kniebrech.
Im Versuch, die Umwelt schleunigst wieder nicht wahrzunehmen, versucht der Kniebrech wirklich alles, inklusive dem Reihern über das eigene Knie, und zwar unverhältnismäßig, auf keinen Fall die Wirkung der jeweils getroffenen Einzelmaßnahme abwartend, und das obendrein in einem Affentempo – und alles durcheinander, so wie es ihm grad einfällt.
Er gleicht in seiner Darbietung einem außer Kontrolle geratenen Zeichentrick-Zirkel, wenn er beispielsweise:
in einer Sekunde den Schnabel unter die Schwanzfedern steckt, dabei feststellt, dass das eigene Auge noch sichtbar ist und daher auch noch was sieht, also: die Umwelt wahrnimmt;
in der nächsten Sekunde zieht er mit dem linken Fuß den rechten Flügel vor’s Auge
und in der darauffolgenden Sekunde beginnt er zu kippen und macht sich beim Versuch, dies durch kompliziertes Balancieren mit dem Gehirnkasten zu verhindern, einen üblen Knoten in den Hals.
Dabei zeigt sich der Kniebrech trotz seinem beachtenswerten motorischen Aktionismus ausgesprochen unbeeindruckbar von Lernereignissen; jede Art von Umweltwahrnehmung führt zu den immer gleichen, unangemessen wirkenden Hektik-Aktionen, ergo zu kaum variierten praktischen Erfahrungen mit Schwerkraft, aus denen scheinbar aber rein gar nichts mitgenommen wird außer einem weiteren Sack Gedankenzement der Marke „Böse Umwelt, ich bin ein Opfer“.
Der Kniebrech unterscheidet sich von anderen Reihern lediglich in einer Sache: er braucht das Auge bloß zu öffnen, um sich unversehens in „Umweltwahrnehmung“ wiederzufinden. Und so kobolzt sich der Kniebrech pausenlos selber durch die Gegend, wo andere Reiher wenigstens gelegentlich mal als Stereotyp einer Stehlampe fungieren und auf der Kuh parken oder am heimischen Gartenteiche einen feisten Frischbesatz-Koi aus dem OBI den Schlund runterwabbeln lassen.
Welchen Selektionsvorteil hat das Verhalten des Kniebrechs?
Er wird gefüttert von mitleidigen Menschen, die in ihm das Sinnbild ihrer eigenen Existenz sehen. Allein in der Bundesrepublik Deutschland soll es laut unbestätigten Zahlen des NAHU eine Population von 40 Millionen Kniebrechs geben, Tendenz steigend.
Moderation:
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Musik im Vor- und Abspann (ab Folge 60):